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Kunstmarkt der "Kunstfreunde Wetter e.V."  vom 30.11. - 01.12.2024 in der Stadthalle Wetter.





Kurzgeschichten

Mein Feind, der Baum

 

Wie bei vielen Menschen ist es auch bei mir nur einem Zufall zu verdanken, dass ich noch auf der schönen Erde weilen darf.

Dieses glückliche Schicksal teilen meine beiden Kolleginnen Anita und Helga mit mir.

Außerdem die mir unbekannte junge Frau, die im Auto saß.

Doch von vorn. Es war ein normaler Arbeitstag und zur Mittagszeit besuchten besagte Kolleginnen und ich die Werksküche der Firma, in der wir angestellt waren und in der man sehr gut essen konnte.

Eigentlich hatten wir es uns angewöhnt, nach dem Essen noch eine „Verdauungszigarette“ im „grünen Salon“ zu rauchen, dem Zimmer meiner Kollegin Helga, das von uns wegen seines grünen Anstriches so genannt wurde. Doch an diesem Tag verzichteten wir wegen des wunderbaren Wetters darauf.

Frohgemut verließen wir unser Verwaltungsgebäude, das zwischen zwei großen Schulgebäuden an einer Straße lag. Viele Bäume säumten den Weg entlang der Straße. Auch an der Schule linkerhand standen vier große Pappeln. Sie waren mir im Grunde nie sonderlich aufgefallen, weil gegenüber wirklich viele Bäume in Reihe standen.

Dies sollte sich ändern. Wie gesagt, wir gingen diesmal linkerhand Richtung Schule, vorbei an vier unbeachteten Pappeln.  Vielleicht hat uns dieses Nichtbeachten eine dieser Pappeln verübelt.

Jedenfalls gingen wir vorbei und hörten plötzlich ein undefinierbares Geräusch. Ein Knacken und Bersten, das relativ schnell mit einem dumpfen Schlag beendet wurde. Warum das Auto auf der Straße plötzlich stehenblieb, wurde uns erst bewusst, als wir uns umdrehten. Eine dieser riesenlangen Pappeln war hinter uns einfach umgefallen und hatte die Motorhaube des Autos getroffen, dessen Fahrerin sichtlich geschockt hinter ihrem Lenkrad saß.

Auch wir waren geschockt. Nur so ließ sich unser unkontrollierter Lachanfall erklären. Wären wir nur ein paar Sekunden später zu unserem Mittagsspaziergang aufgebrochen, hätten noch unser „Zigarettchen“ geraucht, wären wir wahrscheinlich erschlagen worden. Die junge Frau im Auto hatte genau so viel Glück.

Unbeachtet von der später eintreffenden Polizei gingen wir Tränen lachend unseres Weges,

Heute stehen vor der Schule keine Pappeln mehr. Ob sie vielleicht auch ohne Vorwarnung unschuldige Spaziergänger durch unvorhersehbares Umfallen erschreckt haben, ist mir nicht bekannt.

           

Nur eines weiß ich: Um Pappeln mache ich seitdem einen großen Bogen. Meinen beiden Kolleginnen geht es genau so. 

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Alles wird gut

 

Vor ein paar Tagen habe ich mal wieder in eine CD eines sehr bekannten deutschen Liedermachers hineingehört, von dem manch einer behauptet, er würde irgendwann einmal noch seinen eigenen Pups besingen. Kann sein. Ich persönlich habe viele dieser Lieder sehr gerne gehört, haben sie mich doch oft an eigene Erlebnisse erinnert und auch so manches mal fast zu Tränen gerührt. So weit, so gut.

Auf besagter CD befindet sich auch das Lied mit dem Titel „Dr. Beerenthal kommt……., und alles wird  gut“. Dieses Lied handelt schlicht, aber nicht weniger ergreifend von einem Arzt, der sich sehr menschlich und liebevoll um seine Patienten kümmert.

Auch mir ist in meinem Leben ein solcher Arzt begegnet. Alles begann damit, dass ich mir als Kleinkind mit kochend heißem Tee meine beiden Füße verbrüht habe. Ich kann mich daran erinnern, dass ich direkt danach meine beiden Füße unter fließendes kaltes Wasser gehalten habe. Wer mich danach versorgt hat, war zu allererst meine Mutter. Aber wir benötigten dann dringend einen Arzt. Und so trat mein Dr. Beerenthal in mein Leben. Ich nenne ihn hier Dr. Paul.

Er besuchte uns jeden Tag, um die Verbände an meinen Füßen zu wechseln. Als er das erste Mal zu uns kam, machte er mir ein bisschen Angst. Er war noch recht jung, sehr groß und schlaksig und er hatte schon etwas schütteres Haar. Aber als er sagte: “Na Mäxchen, was machen wir denn für Sachen“?, war das Eis schon gebrochen. „Mäxchen“ nannte er mich, wie wir später erfahren haben, wegen meiner misslungenen Frisur, die mir meine Schwester ein paar Tage vorher beim Friseurspielen verpasst hatte. Ich sah aus wie der Max aus Wilhelm Buschs Lausbubengeschichten.

Fortan besuchte er uns jeden Tag, und kümmerte sich um meine schmerzenden Wunden. Und immer sagte er: „Na Mäxchen, wie geht’s“? Ich weiß noch heute, wie beruhigend damals diese einfachen Worte auf mich wirkten.

Auch meine Mutter bestärkte er und lobte sie ob ihrer guten Pflege, so dass ich nicht in ein Krankenhaus eingewiesen werden musste. Seinen Beifall fand auch die Konstruktion meines Vaters aus einem Karton, in dem meine Füße völlig frei von behindernden Decken liegen konnten. Er unterstützte meine Eltern in jeder Weise.

Gut erinnern kann ich mich auch daran, dass er sich, groß wie er war, einmal den Kopf an unserer Deckenlampe gestoßen hat. Ich fand das damals sehr lustig und musste fürchterlich lachen. Er hat sofort bemerkt, dass ich so meine Schmerzen für ein paar Minuten vergessen hatte. Und so stieß er sich jedesmal bei seinen Hausbesuchen den Kopf an unserer Lampe und ich kugelte mich fast vor Lachen. Irgendwann bemerkte ich den Schwindel, ließ mir aber nichts anmerken, um ihn nicht zu enttäuschen. Ich lachte und lachte und habe so sicherlich einige Schmerzen gut überwinden können.

Nach und nach verschwanden die Schmerzen und die Narben an meinen Füßen verheilten. So wurden auch die Hausbesuche seltener bis sie bald gar nicht mehr vonnöten waren. Dank der Pflege meiner Eltern und Dr. Pauls war bald fast nichts mehr zu sehen.

Wir haben Dr. Paul als Hausarzt behalten und wenn ich noch im frühen Erwachsenenalter mit dem ein oder anderen „Wehwehchen“ in die Sprechstunde kam, begrüßte er mich immer mit den Worten: „Na, Mäxchen, wie geht’s“? Und ich glaube, er war manchmal, wenn er aufstand versucht, sich den Kopf an seiner Deckenlampe zu stoßen. Und man kann es mir glauben, ich hätte mich dann vor Lachen gekugelt.

Ich habe später erfahren, dass Dr. Paul bei guter Gesundheit sehr alt geworden ist.

          

Und ich denke, das hat er verdient. 

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Stukenbrock

 

Es war der 1. April und obwohl noch Schnee lag und es sehr kalt war, ahnten wir im Inneren schon den bevorstehenden Frühling. Lange schon hatten wir keinen Ausflug mehr unternommen und unser Sohn Patrick wollte unbedingt mal raus. Da fiel uns Stukenbrock ein, ein Park in dem man viele wilde Tiere fast wie in freier Wildbahn beobachten konnte. Nur das Auto durfte man nicht verlassen.

Dies wusste ich noch von einem früheren Besuch mit meinen Eltern, der mir sehr gefallen hatte.

Als wir dort ankamen, war der Platz, an dem man sich für die Durchfahrt anstellen musste, fast leer.  Nur ein paar Autos hatten sich an diesem eher winterlichen Morgen hierher verirrt.

Zuerst dachten wir, dass der Park noch gar nicht geöffnet hätte, doch dann begrüßte uns ein abenteuerlich gekleideter Mitarbeiter in Khakiuniform persönlich. Mit forschem Ton teilte er uns durch das geöffnete Autofenster mit, dass die Tiere bei diesem Wetter nicht draußen seien und wir ohne Gefahr aussteigen könnten.  

Mir verursachte diese Mitteilung ein eher unbehagliches Gefühl. Denn ich wusste; die wilden Tiere dort waren hauptsächlich Raubkatzen wie Löwen, Panther, Tiger und Geparden.

Doch Patrick, sein mitreisender Freund und mein Mann konnten das Auto gar nicht schnell genug verlassen.

Der Tierpfleger hatte nämlich versprochen, dass wir die Tiere in ihren Innengehegen beobachten durften. Also ging ich vorsichtig hinterher. Wir betraten ein längliches Gebäude, in dem sich mehrere vergitterte Gehege befanden.

Und dort konnten wir dann die Könige der Raubkatzen bewundern. Und zwar aus beängstigender Nähe. Wir bestaunten die beeindruckenden Tiere, zumeist Löwen, aber auch Tiger.

So nah betrachtet waren sie noch imposanter als im Zoo, wo man sie ja meist von weitem betrachtet.

Fast schon etwas furchteinflößend, wenn man, so wie ich, an so manche Zeitungsberichte dachte.

Dann rief der Tierpfleger einen Löwen mit dem Allerweltsnamen Simba ans Gitter.

Simba folgte dem Ruf des Pflegers bereitwillig. Immer näher kam er, bis sein riesiger Kopf direkt am Gitter lag und die dicke Mähne durch die Gitterstäbe hinausragte. „Das hier“, sagte der Wärter, „das hier ist eine Handaufzucht“. Ich traute meinen Augen kaum, als er seinen Arm durch das Gitter streckte und Simba hinter seinen Ohren kraulte. Simba drückte sein Behagen durch lautes Schnurren aus. Außerdem bleckte er seine riesigen Zähne. Es sah fast aus, als würde er lachen.

Als der Pfleger uns aufforderte, Simba auch mal zu streicheln, lehnte ich für alle dankend ab.

Das war auch im Sinne meiner Familie wie ich erleichtert bemerkte.

Das Gebäude verließ ich rennend, als ein Löwe im Nebengehege ein ohrenbetäubendes Gebrüll von sich gab. Im ersten Moment dachte ich Simba hätte gebrüllt. Mein Herzschlag beruhigte sich erst vor der Tür.  Auch mein Mann und die beiden Jungs waren ziemlich blass um die Nase, als sie das Gebäude verließen.

                  

Doch es gab noch weitere Löwen in diesem Park, die in einem anderen Gebäude untergebracht waren. Dort wurde uns eine „Laune der Natur“ in Aussicht gestellt.

Diese sogenannte Laune entpuppte sich als eine weiße Löwin mit einer nicht zu übersehenden Mähne, einem bei Löwen eigentlich männlichem Attribut. Dies veranlasste meinen Sohn zu der Bemerkung, dass es ja auch Frauen mit Bart gäbe. Dem hatten wir nichts hinzuzufügen. So ließen wir im Gehege eine sichtlich belustigte Tierpflegerin zurück.

Danach besuchten wir noch einen auf dem Gelände befindlichen kleinen Vergnügungspark und dort einen Mini-Freefall-Tower, der mir beim Besuch fast den Magen umstülpte. Nachdem ich auch dieses „Abenteuer“ bestanden hatte, begaben wir uns gut gelaunt mit tollen Eindrücken auf den Heimweg.

   

Dieser Tag war ein Beweis dafür, dass es besser sein kann, manche Unternehmungen nicht unbedingt in die Hauptreisezeit zu verlegen. Dadurch, dass einfach weniger Menschen unterwegs waren, hatten wir einfach die Möglichkeit auf außergewöhnliche Eindrücke. 

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Der Weihnachtsbaum

 

Wir waren Kinder. Und wie alle Kinder freuten meine Schwester und ich uns auf Weihnachten.

Traditionell wurde unser Weihnachtsbaum am Morgen des Heiligen Abend aufgestellt und geschmückt.

Und in diesem Jahr hatten wir einen ganz besonderen Baum. Mein Vater hatte ihn selbst geschlagen und hatte sich sehr darüber gefreut, dass ihm der Förster, dessen Möbel er, zusammen mit meinem Onkel, ein paar Wochen vorher gefahren hatte, diesen kostenfrei überließ. Auch mein Onkel durfte sich einen Baum schlagen. Die Schonung, in denen die Bäume standen, hatte der Förster ihnen vorher gezeigt. So wurden die Bäume geholt und voller Vorfreude nach Hause gebracht, um sie dann außerhalb des Hauses zu lagern.

Nachdem der Baum hereingeholt und geschmückt worden war, veranstalteten meine Schwester und ich unser alljährlich wiederkehrendes Ritual. Wir spiegelten unsere Gesichter in den Weihnachtskugeln und hielten uns vor Lachen die Bäuche wegen unseren Grimassen, die in den Kugeln erschienen. Aber irgendwas war anders. Meine Schwester bemerkte es zuerst. „Es riecht komisch“, sagte sie. Und ja, auch mir fiel es auf. Wir beschlossen, den merkwürdigen und unangenehmen Duft erst mal zu ignorieren. Nach ca. einer Stunde bemerkte auch unsere Mutter diesen merkwürdigen Geruch. Die ganze Wohnung war mittlerweile von dem sehr unweihnachtlichen Duft erfüllt. Der Duft wurde mehr und mehr zum Gestank und mein Vater stellte fest: „Das kommt vom Baum. Der Baum stinkt:“.  Und das stimmte. So konnten wir unmöglich unseren Heiligen Abend verbringen. Und wir beschlossen: Der Baum muss weg. Während andere Bescherung feierten mussten wir unsere schöne stinkende Tanne abschmücken und aus dem Fenster werfen. Noch heute hoffen wir, dass dies unsere Nachbarn nicht mitbekommen haben. Sie hätten bestimmt gedacht: „jetzt sind die Müllers total übergeschnappt“.

Nun standen wir ohne Weihnachtsbaum da. Wir haben geweint. Meinem Vater tat dies so leid, dass er sich flugs auf den Weg in den nächsten Wald machte und dort ein kleines Bäumchen geschlagen hat. Nun hatten wir wenigstens unseren Baum und dieser stank nicht. Allerdings taute er auf, denn der Winter war sehr frostig und es gab viel Schnee. Um den gesamten Baum hatten wir Putzlappen gelegt, um das Tauwasser aufzufangen. Da war allemal besser, als einen Heiligabend mit Gestank zu verbringen. Und so waren wir alle erstmal zufrieden.

Später haben wir vom Förster erfahren, dass dieser eine Baum ein Stück außerhalb der angezeigten Schonung gestanden hatte und mit einem üblen Duft versehen war, um dem Dieb wenigstens ein unangenehmes Weihnachtfest zu bescheren.

      

Übrigens: Mein Onkel hatte einen geruhsamen Heiligabend mit einem wunderschönen Baum. 

 


Mein erster treuer Freund

 

Als ich neulich im Radio eine Reportage zum Thema „Mein erster treuer Freund“ gehört habe, erinnerte mich dies an mein eigenes erlittenes Schicksal und das meines „Teddys“ vor über 50 Jahren.

„Teddy“ war, wie sein Name fast schon sagt, ein kleiner Teddy-Bär und trat als Geschenk meines Opas in mein junges Leben.

Ich schloss dieses kleine Teddy-Bärchen sofort in mein Herz. So wurde es für mich unbezahlbar und unersetzbar. Man konnte nicht einfach ein neues kaufen. Überallhin nahm ich es mit. Nach draußen zum Spielen und in den Urlaub. Und jeden Abend half es mir beim Einschlafen. Es war einfach unheimlich beruhigend, sein stoppeliges Fell zu streicheln.

Und eines Tages war es weg. Weg. Einfach weg. Wahrscheinlich benutze ich auch heute noch diese drei Worte, wenn ich etwas suche. Aus Angst davor, dass es wirklich nie wieder auftaucht.

Mit „Teddy“ war es jedenfalls so. Überall wurde gesucht. Unter dem Sofa, im Bett, im Schrank, unter dem Teppich, draußen, drinnen, von Mutter, Vater, Nachbarn und allen Anverwandten.

Weg. Einfach weg. Nichts konnte mich trösten. Kein Ersatzteddy, keine verzweifelte Mutter, keine Bonbons, nichts. Mehrere Tage verbrachte ich in Trauer.

Aber dann war es Samstag und Samstag war Badetag. An diesem Tag habe ich „Teddy“ wiedergefunden. Er sprang als Wassertropfen hundertfach aus dem Wasserhahn von einem imaginären Sprungbrett ins Badewasser, ließ sich nochmal kurz sehen und verschwand dann zwischen mehreren Ringen im Wasser. Meine Fantasie hatte mir geholfen, den Schmerz über den Verlust zu überwinden. Ich brauchte kein Ersatz-Kuscheltier. Ich hatte mir ein eigenes ausgedacht. An jedem Badetag sah ich „Teddy“ wieder.

Nach und nach verblasste meine Trauer und in dem Wassertropfen sah ich das, was er war. Ein Wassertropfen.

Und doch habe ich diese Geschichte nie vergessen.


Auf einem Sideboard in unserem Flur sitzt heute ein ähnliches stoppeliges Wesen. Es stammt noch von meinen Kindern und sieht fast genauso aus wie mein damaliges Kuscheltierchen.

          

Und so ist es nicht verwunderlich, dass es mir manchmal scheint, als blinzelte es mir zu und sagte: „Ich bin’s, Teddy“ und mir fällt es schwer, es nicht zu glauben. 



Mein neues Auto

 

Ich sehe es noch genau vor mir. Hellblau und wunderschön. Für mich war es das schönste Auto der Welt. Endlich war ich erwachsen und mobil. Gerade hatte ich den Führerschein bestanden und sofort ein Auto zu kaufen, war für mich die logische Konsequenz. Stolz vor Glück und Aufregung fuhr ich durch die Straßen meines Heimatortes. Endlich hatte auch ich die Freiheit, abendliche und nächtliche Discobesuche unabhängig von meinen Eltern und anderen Mitfahrgelegenheiten zu unternehmen. Nur eines hatte ich nicht bedacht. Jede Sache hat zwei Seiten. Völlige Unabhängigkeit beim Fahren, aber auch völlige Alkoholabstinenz.

Und in meiner bevorzugten Discothek gab es unzählige Gelegenheiten Alkohol zu konsumieren.

Feierwütig war ich sowieso, genau wie die meisten meiner Freundinnen und Freunde.

So kam es mir eines abends sehr gelegen, als mir einer meiner entfernteren Freunde anbot, mich und ein paar Freundinnen nach dem Genuss einiger alkoholischen Getränke nach Hause zu fahren.

Die Sache hatte nur einen Haken. Er benötigte dafür mein Auto. Er hatte kein eigenes. Nun, man muss Opfer bringen.

Nicht ganz uneigennützig vertraute ich ihm mein schönes hellblaues Auto an und er bewies uns auf dem Heimweg, dass er Auto fahren konnte. Mit dem Versprechen, mir mein Auto am nächsten Morgen an meine Arbeitsstelle zu bringen, entließ er uns in unsere jeweiligen Wohnungen.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, brummte mir der Schädel und ich war vollauf damit beschäftigt, pünktlich an meine Arbeitsstelle zu gelangen. Der halbstündige Fußmarsch dorthin tat mir gut.

Am späten Vormittag vermisste ich das erste mal die Rückgabe meines Autos. Gegen Mittag wurde ich schon sehr ungeduldig. Das merkten auch meine Kolleginnen und Kollegen deutlich, so dass ich ihnen meine nächtliche Ausgehaktion beichtete. Außerdem bekam ich mehrmals zu hören, dass man Fahrzeuge einfach nicht verleiht. Dieser Ratschlag kam eindeutig zu spät

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch die Hoffnung, mein Fahrzeug vollständig und heil wiederzusehen.

Diese Hoffnung wurde in dem Augenblick zerstört, als ich auf meinem Fußweg nach Hause eine Brücke überquerte, auf dessen Fahrbahn mir ein Auto entgegenkam, welches meinem sehr ähnelte. Nur war dieses sehr verbeult. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich , sehr zu meinem Entsetzen, jenes Fahrzeug als mein Auto. Die rechte Seite war völlig eingedellt und auch das Dach war als solches nicht mehr zu erkennen. Innen saß, hinter offener Scheibe ein völlig aufgelöster Fahrer, mein Bekannter, der mich völlig verzweifelt anschaute.

Nachdem ich mich versichert hatte, dass kein Mensch zu Schaden gekommen war, dirigierte ich ihn zu meinen Eltern, die sich auch sehr erschrocken zeigten.

Dort behauptete mein Bekannter, man könne dieses Auto relativ einfach in seinen vorherigen Zustand versetzen. Das löste bei meinem Vater einen Lachanfall aus. Wie recht er damit hatte, bestätigte später ein hinzugezogener KFZ-Fachmann, der dem Wagen einen wirtschaftlichen Totalschaden attestierte.

Zum Schaden war es gekommen, als mein, ich betone, entfernter Freund, einen kleinen Ausflug mit meinem Auto unternahm, in dem er über die durch unsere Stadt führende so genannte Stadtautobahn fuhr und an einer Ausfahrt seine Geschwindigkeit so unterschätzte, dass er ins Schleudern geriet. An einem angrenzenden Parkplatz prallte er mit voller Wucht gegen die dort stehenden Autos, von denen drei ineinandergeschoben wurden.

              

Den folgenden Schriftverkehr mit meiner Haftpflichtversicherung kann man sich gut vorstellen. Auch die Summe, die meine Versicherung bezahlen musste, war beträchtlich. Der Versicherungsvertreter sprach mich in der folgenden Zeit grundsätzlich mit meinem Namen an, der ihm früher sonst nie eingefallen war.

 

Eines habe ich gelernt: Fahrzeuge, und da ganz besonders hellblaue Autos, sollte man nie verleihen.  

  


Mühlgraben

 

Gelb war „in“ in diesem Jahr und Ende Juni wurde traditionell das Unifest in unserer schönen Universitätsstadt veranstaltet.

Ich war gerade der Pubertät entronnen und ging mit meinem Freund, meiner besten Freundin und deren Freund dorthin.

Vorher hatte ich mich neu eingekleidet. Gelbes T-Shirt und gelbe Shorts. Mehr brauchte man im damaligen Sommer nicht. Ob meine Schuhe auch noch gelb waren, ist mir nicht mehr vor Augen. Ich hoffe nicht.

Jedenfalls gab es Musik auf allen Etagen des Hörsaalgebäudes. Von Rock bis Pop und sogar Volksmusik  konnte man dort hören.

Außerdem befanden sich auch im Außenbereich einige Bühnen und ein Zelt in der Nähe des angrenzenden Mühlbaches, einem Nebenarm der Lahn, die durch unsere Stadt fließt.

Im Grunde war alles wie in jedem Jahr  super organisiert. Das einzige, was grundsätzlich heillos überfüllt war, waren die Damentoiletten. Zu fortgeschrittener Zeit musste Frau sich mindestens eine Stunde vorher auf den Weg machen, damit Frau es noch „schaffte“. Lange Schlangen waren hier völlig normal. Nun gibt es die ein oder andere, die sich aus dieser fast ausweglosen Situation vermeintlich einfachere und vor allem kürzere Wege sucht.

Zu diesen Menschen gehörte auch ich. Als mich nach mehreren Getränken im Außenzelt ein menschliches Rühren erfasste, ging ich den „einfachen“ Weg. Das hieß: In die Büsche hinter dem Zelt. Meine Freundin, der ich großspurig diese Gelegenheit offerierte, begleitete mich. Zum Glück!

An folgende Situation erinnere ich mich so:

Ich verschwand in den Büschen, drehte mich um und zog schon mal meine gelbe Shorts halb herunter. Weiter kam ich nicht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als verschwände der Boden unter meinen Füßen. Mit rudernden Armen versuchte ich mich im Gebüsch festzuhalten. Das gelang mir wenig bis gar nicht. Wo ich mich befand, begriff ich erst, als ich mit einem lauten Platsch von Kopf bis Fuß in ein schlammiges Gewässer fiel. Den Mühlgraben. Irgendwie hatte ich an diesen überhaupt nicht gedacht. Nun wurde es sehr schwierig, dort wieder hinauszukommen. Ich rief nach meiner Freundin, die meine Notlage sofort begriff und handelte. Noch heute bin ich ihr sehr dankbar. Sie sprach eine vorbei gehende Studentin an, die ihr half, mich mit vereinten Kräften in einer Menschenkette nach oben zu ziehen. Dies gelang beim dritten Mal. Vorher bin ich noch zweimal abgerutscht und wieder hineingefallen. Wie ich aussah, kann man sich kaum vorstellen. Alles an mir war schlammfarben. Vom leuchtenden Gelb meiner Kleidung war nichts mehr zu sehen. Von oben bis unten war ich mit Schlamm bedeckt.

Den Besuch des Unifestes haben wir abgebrochen und die Toilette habe ich zu Hause benutzt.

Mein Freund schoss noch ein Foto von mir. In der heutigen Zeit hätte er es sicherlich gepostet.

             

Einige Jahre später wurde "schlammfarben" modern. Diesen Trend habe ich ignoriert.



Nächtliche Begegnung

 

Es ist schon einige Jahre her, aber noch heute sehe ich das verblüffte Gesicht meines Nachbarn vor mir und er kann sich sicherlich noch an meinen überraschten Gesichtsausdruck erinnern.

Aber ich will von vorn beginnen.

Es war einer jener Tage, an denen ich völlig übermüdet von meinem Tagwerk nach Hause kam.

Die Nacht zuvor hatte ich sehr schlecht geschlafen, an der Arbeit war sehr viel zu tun, und ich war dann noch am Abend hektisch durch die Geschäfte geeilt, um noch etwas zu essen zu besorgen.

Außerdem waren die Kinder an diesem Abend auch noch besonders nervig.

 

Und Kochen musste ich auch noch.

 

Aber vorher, vorher hielt mich nichts mehr aufrecht, als die Aussicht auf ein kleines Schläfchen, und das gönnte ich mir dann auch. Zeit zum Umkleiden oder Abschminken blieb keine, denn ich musste ja noch kochen.

 

Meinem Körper war das egal. Ich fiel auf dem heimischen Sofa in einen traumlosen Tiefschlaf.

Mit meinem Mann hatte ich irgendwann einmal besprochen, dass er mich in einem solchen Fall niemals wecken sollte.

Er hatte dies davor schon getan und war dann meiner übelsten Laune zum Opfer gefallen.

So wagte er sich nicht, mich aus dem Schlaf zu holen.

 

Ich wurde in dieser Nacht gegen 02:30 Uhr durch gleißendes Licht im Flur und die Stimme unseres Nachbarn geweckt. Als ich aus dem Wohnzimmer kam, traf ich dort auf meinen Mann und auf unseren spärlich bekleideten Nachbarn. Er hatte nichts als eine Unterhose an.

Wie aus seinen Schilderungen zu entnehmen war, war er nicht ausgeraubt worden. Nein, er hatte nur schlecht geträumt und schlafgewandelt.  Und sich so schlicht und ergreifend ausgesperrt.

Solche Geschichten hatte ich früher immer in das Reich der Fantasie verbannt. Er bewies mir das Gegenteil.

Nun suchte er bei uns Unterschlupf.

 

Wie verwundert muss er gewesen sein, als er mich erblickte. Völlig angezogen und geschminkt stand ich vor ihm. Das einzige was fehlte, waren die Schuhe. Ich hätte ohne weiteres so an der Arbeit erscheinen können. Niemandem wäre etwas aufgefallen. Noch heute hoffe ich, dass er dachte, ich müsste irgendeine Nachtschicht antreten.

 

Später haben wir unserem Nachbarn einen Morgenmantel gegeben und er konnte seinen Vater anrufen, der einen Ersatzschlüssel für seine Wohnung hatte.

 

                           

Noch heute denke ich an diese nächtliche Begegnung, wenn ich ihn zufällig treffe. Und sicherlich fällt ihm dann mein amüsierter Gesichtsausdruck auf. Allerdings finde ich, dass auch er einen ähnlichen Ausdruck im Gesicht hat.  

 


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(Anita Naumann) erlaubt.